Gesundheitswesen 4.0 beschreibt die Gesundheitsbranche der Zukunft, die sich durch einen hohen Grad an Technisierung, Digitalisierung und Vernetzung auszeichnet. Manche sehen darin auch den schleichenden Ersatz des Menschen mit Maschinen.
Ist diese Angst begründet? Welche Vorzüge bringt das neue, digitale Gesundheitswesen mit sich – für PatientInnen als auch für MedizinerInnen und Pflegepersonal? Wir werfen einen Blick in die Zukunft, um uns ein Bild zu machen. In diesem ersten Teil rückt der Alltag von PatientInnen in den Mittelpunkt.
Man schreibt das Jahr 2026. Emma, eine Österreicherin mittleren Alters, startet in den Tag.
Der #SmartHealth - Studie der deutschen Techniker Krankenkasse zufolge erwarten die meisten Menschen, dass moderne medizinische Technologien in 10 Jahren zum Alltag gehören.
Außerdem: Frauen in dieser Altersgruppe sind den Umfragen zufolge am aufgeschlossensten gegenüber dem technischen Fortschritt.
Es ist Samstagmorgen und Emma beschließt, eine Runde zu laufen. Wie immer trägt sie ihre Smartwatch, die ihre Vitaldaten aufzeichnet.
Die Gesundheit in der eigenen Hand
TRACKING DEVICES und WEARABLES wie Fitnessarmbänder und Pulsuhren sind für Fitnessbewusste bereits heute Standard. Im „Internet of Things“, also der Vernetzung der physischen und digitalen Welt, sind sie ein gängiger Link zu Smartphones, Apps und dem Internet.
Die Bereitschaft, Daten mit solchen Devices aufzuzeichnen, ist hoch. Laut Techniker – Studie würden 71% der Deutschen ihren Puls und Sportaktivitäten, 66 % Blutdruckdaten – aber nur 45% spezifischere medizinische Daten wie den Blutzucker aufzeichnen.
Nachdem Emmas Laufergebnisse in ihrer Fitnessapp abgespeichert wurden, frühstückt sie. Eine weitere App erinnert sie daran, dass es Zeit ist, ihre Antibiotika einzunehmen. Emma leidet nämlich seit einiger Zeit an einer Gastritis.
GESUNDHEITSAPPS gibt es schon heute wie Sand am Meer – Tausende davon sind gerade im Umlauf. Manche erinnern an Medikamenteneinnahme, es gibt Migränetagebücher, Schnarchgeräuscheaufzeichner und Fruchtbarkeitskalender.
Besonders Frauen verwenden Apps heute tendenziell häufiger als Männer. Bei älteren Bevölkerungsgruppen treffen sie auf Ablehnung – 83 % sind völlig dagegen. Zukünftige Alte werden also mit hoher Wahrscheinlichkeit vertraut im Umgang mit modernen Devices sein.
Schon am Vortag hat Emma einen Ausschlag am Unterarm bekommen. Das Jucken wird immer schlimmer und sie informiert sich im Internet, was die Ursache sein könnte. Dr. Google ist ihre erste Anlaufstelle. Als sie keine befriedigende Antwort findet, postet sie ihre Symptome in einem Forum.
Beratung bei Dr. Google & im Forum
INTERNET und DR. GOOGLE - Schon heute nutzen 66 % der Bevölkerung das Internet, um sich zu Gesundheitsthemen zu informieren. Bei den 18 bis 29- Jährigen ist der Anteil mit 76 % erwartungsgemäß am höchsten und weist auf zukünftige Entwicklungen hin.
Je höher Einkommen und Bildungsniveau, desto stärker die Nutzung. 92 % der Befragten sind sicher, dass Internetrecherche bei Gesundheitsthemen in zehn Jahren Standard sein wird.
SOZIALE NETZWERKE sind für den Austausch zu medizinischen Themen derzeit eher unpopulär. Nur 20 % verwenden etwa Facebook oder Twitter zu diesem Zweck – man stellt Persönliches nicht gern ins Netz.
Jüngere User, die mit den sozialen Netzwerken am vertrautesten sind, sind besonders skeptisch. Die Erwartungshaltung ist aber: Zukünftig wird auch das Posten von Problemen üblicher werden.
Datenspeicherung - Voraussetzung moderner Medizin
Als Emmas Ausschlag am Montagabend noch schlimmer aussieht als am Tag zuvor, beschließt sie, zum Arzt zu gehen. Oder besser gesagt: sie geht an ihren Computer und chattet mit ihrer Hausärztin. Für Emma existiert schon seit Längerem eine elektronische Gesundheitsakte, ELGA.
Darin sind ihre Befunde und Medikamente abgespeichert. Während der online – Konsultierung kann ihre Ärztin mit wenigen Klicks alle wichtigen Informationen abrufen und auch ohne eine Untersuchung eine Ferndiagnose stellen.
MEDIZIN 4.0 - Datenvernetzung und effiziente digitalisierte Kommunikation sind Grundvoraussetzungen für die Medizin der Zukunft, die sich der wachsenden Mobilität der Bevölkerung anpasst.
In Island, Schweden und Dänemark beträgt die nationale Vernetzung von Krankenhäusern bereits über 50% - eine Rate, die entsprechende Investitionen fordert.
ELGA - derzeit wird die digitale Gesundheitsakte schrittweise in Spitälern in der Steiermark und Wien implementiert. Die Bereitschaft, Gesundheitsdaten über online – Angebote der Krankenkassen zu teilen ist höher als die, auf direkten zwischenmenschlichen Kontakt zu verzichten.
Trotzdem wird aufgrund des demographischen Wandels und der allgemeinen Schnelllebigkeit Telemonitoring und Telemedizin in diversen Studien eine rosige Zukunft prophezeit.
Maschine statt Mensch?
Nur etwa die Hälfte der Menschen in der Techniker- Studie findet, dass ein Gespräch am Computer face-to-face-Interaktion ersetzen kann. Auch hier gilt jedoch: Der Fortschritt wird von den Befragten als unvermeidbar gesehen. Fernbehandlungen sind in manchen Ländern, wie im dünn besiedelten Regionen Norwegens, schon seit Jahren etabliert.
In Österreich eröffnete 2012 eine umstrittene Online – Arztpraxis, die allerdings in London registriert ist, da nach österreichischem Ärztegesetz (§ 49 Abs 2) „Der Arzt (…) seinen Beruf persönlich und unmittelbar, allenfalls in Zusammenarbeit mit anderen Ärzten auszuüben“ hat.
UNMITTELBARKEIT - Die Interpretation des Begriffes „Unmittelbarkeit“ sorgte allerdings rechtlich für Diskussionen – mittlerweile geht man davon aus, dass auch moderne Kommunikationsmittel in dieser Hinsicht berücksichtigt werden müssen.
Dennoch wird zu erhöhter Sorgfalt geraten, da bei jedem Fall genau zu prüfen ist, ob eine Online- Untersuchung und Rezeptausstellung anhand der vorhandenen Daten und Angaben überhaupt möglich ist.
Entscheidet die Ärztin als Expertin, dass ihr nicht ausreichend Informationen zur Verfügung stehen, könnte sie Emma zum Beispiel an einen Facharzt weiterverweisen. Die Ärztin vermutet, dass der Ausschlag eine Nebenwirkung des Antibiotikums ist, rät Emma aber, einen Termin mit Ihrem Hautarzt zu vereinbaren.
Die Grundsteine des Gesundheitswesens 4.0 in Österreich sind mit ELGA bereits gelegt. Gesundheitsapps und das Internet als Informationsquelle gehören für viele bereits zum Alltag; aufgrund des demographischen Wandels können besonders ältere Menschen in Zukunft von ihnen profitieren.
Fazit
Das Internet der Dinge, Cyber-Physische Systeme, Mensch- Maschinen-Interaktion, intelligente oder autonome Devices – beschäftigt man sich mit der Zukunft des Medizinwesens, versinkt man in einem Meer aus futuristisch-industriell angehauchten Begriffen.
Nicht nur in älteren Menschen regt sich spätestens dann Widerstand: Der „Digitalisierung (in) der Gesundheitswirtschaft“- Studie zufolge muss bei allem Fortschrittsenthusiasmus auf die unterschiedlichen Bedürfnisse Rücksicht genommen werden:
„Zielsetzung kann (…) nicht sein, moderne Technologien den Nutzern „aufzuzwängen“ (sic!); ebenso wie das Recht auf Inklusion besteht auch das Recht auf Exklusion.“ (Institut für Arbeit und Technik- „Digitalisierung (in) der Gesundheitswirtschaft“)
Davon abgesehen zeichnet sich das geplante Gesundheitswesen aber nicht nur durch Technisierung und Digitalisierung, sondern auch durch mehr Personalisierung, Mobilität und Zeit- und Kosteneffizienz aus – PatientInnen der Zukunft werden also schneller sowie zeit- und kostensparender behandelt und haben besseren Einblick in den Behandlungsprozess.
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